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Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen Versicherungen kundenzentriert arbeiten, davon ist Sonja Bobrowska, UNIQA Customer Experience Research Expertin, überzeugt.
Kundenzentrierung ist eine Strategie, die Unternehmen anwenden, um Innovation betreiben zu können, mit dem Ziel langfristig erfolgreich zu sein. Ohne sich auf Kund:innen zu konzentrieren wird man langfristig kein profitables Unternehmen führen können. Kundenzentrierung ist somit ein weit weniger idealistisches Unterfangen als häufig angenommen.
Hierzu ist es notwendig sich mit den Bedürfnissen der Kund:innen auseinanderzusetzen, denn nur so lassen sich Produkte und Services entwickeln, die den Kundenbedürfnissen gerecht werden. In meiner Tätigkeit als Forscherin liefere ich die Grundlage, denn ohne ein Verständnis für die Kund:innen ist es schwierig, wenn nicht gar unmöglich kundenzentriert zu arbeiten. Versicherungen berühren alle Lebensbereiche der Menschen. Gesundheit, Mobilität, Wohnen, zwischenmenschliche Beziehungen und beispielsweise auch Unternehmertum. Um diese verschiedenen Felder betrachten zu können braucht es nicht zwangsläufig ein eigenes Team an Forschenden, wie in meinem Fall, sondern Menschen mit der Bereitschaft sich auf diese verschiedenen Lebensbereiche unvoreingenommen einlassen zu können.
Ich bin gebürtig aus Polen und habe, bevor ich nach Österreich gekommen bin, in Großbritannien studiert. Da ich nicht in Österreich aufgewachsen bin, waren viele Gepflogenheiten neu für mich, was für eine Forscherin ein großer Vorteil ist. Denn Dinge, die für andere vollkommen selbstverständlich sind, haben für mich zu Fragen geführt und als Forscherin braucht man einen Blick auf die Dinge, der sich nicht mit dem Offensichtlichen zufriedengibt.
82% der österreichischen Versicherungskund:innen haben eine:n Versicherungsberater:in, an den:die sie sich wenden können. Ich glaube, dass es vor allem bei erfolgreichen Versicherungen die Berater:innen sind, die Kundenzentrierung leben. Die Beziehung zwischen Kund:innen und Berater:innen basiert auf gegenseitigem Vertrauen, welches trotz seltener Kontakte schnell aufgebaut werden muss, da Versicherungsprodukte oft sehr komplex sind. Das heißt Kund:innen erwarten ein tiefes Verständnis der Materie, verfügen aber selbst nur über eingeschränktes Wissen. Versicherungsberater:innen und Kund:innen sprechen hier oft von der Chemie, die zwischen beiden stimmen und von Anfang an da sein muss.
Von einer guten Beziehung profitieren auch die Versicherungsunternehmen, denn Kund:innen in guten Beziehungen beziehen mehr Versicherungsprodukte von ihren Versicherungsberater:innen und sind weniger gewillt zu einer anderen Versicherung zu wechseln. Somit leistet die Kundenberaterbeziehung einen beutenden Beitrag zur langfristigen Kundenbindung.
Systematisch. In meiner Tätigkeit bin ich mit verschiedenen Fragen und Problemen konfrontiert, weshalb es verschiedene Vorgehensweisen braucht, um die gestellten Fragen beantworten zu können. Die erste Frage, die ich mir hierzu stelle, ist: Wer braucht dieses Wissen wozu? Aus dieser Frage ergibt sich das jeweilige Vorgehen für unsere Forschung – die Methodik. Im Falle der Beziehung zwischen Kund:innen und Berater:innen hatten wir zu Beginn wenig Vorwissen. Wenn man wissen will, was in den Köpfen der Menschen vorgeht, ist es das Beste mit ihnen zu sprechen.
Daher haben wir Tiefeninterviews sowohl mit Kund:innen als auch mit Berater:innen geführt. Niedergeschrieben hatten die Interviews einen Umfang von 362 Seiten – fast so viele wie in Tolkien’s „Der Hobbit“. Um in diesem umfangreichen Material jene Kundenanliegen zu identifizieren, die zentral für eine gute Beziehung sind, ist viel Kopfarbeit nötig, da die Aussagen der Teilnehmer:innen in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen. Abschließend wurden diese Kundenanliegen in einer Befragung der österreichischen Bevölkerung getestet. Durch die Verbindung von sehr in die Tiefe gehenden Gesprächen mit groß angelegten Befragungen von über 1000 Menschen, konnten wir Tiefe mit Breite verbinden und hieraus Maßnahmen ableiten.
Kundenanliegen sind Ziele. Jeder Mensch und somit auch Kund:innen und Berater:innen haben Ziele. Menschen brauchen Versicherungen um ihr Leben vor Risiken zu schützen und sich von Disruptionen zu erholen, beispielsweise im Falle eines Hausbrandes. Der große Vorteil von Kundenanliegen ist, dass diese, in einer sich ständig verändernden Welt, stabil bleiben. Hypes hingegen ändern sich. Vor zwei-drei Jahren sprachen alle noch von Blockchain und heute sprechen alle von künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT. Hinter technischen Innovationen stehen allerdings die Kundenanliegen. Sicherheit, Zugehörigkeit und der zielgerichtete Einsatz von Ressourcen, werden auch in einigen Hundert Jahren noch relevant sein. Daher befassen sich meine Kolleg:innen und ich mit sehr grundlegenden Konzepten des menschlichen Zusammenlebens wie Vertrauen, Angst und Verstehen. Technische Innovation lassen sich entsprechend viel leichter aus der Perspektive der Kundenanliegen denken, da diese nicht nur zielgerichteter, sondern auch stabiler sind.
Mit Kundenzentrierung kann man Frust, Angst, Ärger und Konfusion minimieren und dafür sorgen, dass Kund:innen mit uns gemeinsam besser leben.
Veränderung ist schwierig, besonders wenn neue Herangehensweisen geschaffen werden müssen. Herausforderungen zeigen sich, insbesondere wenn man versucht Versicherungen fit für die Digitalisierung zu machen. Die Zukunft ist schon da, nur ungleich verteilt, hat der Science-Fiction Autor William Gibson mal gesagt. Und obwohl wir in unserem Alltag ständig mit digitalen Lösungen in Berührung kommen, ist das in der Versicherungsbranche erst seit kurzem der Fall. In anderen Branchen wie der Finanzbranche ist das schon etwas früher passiert – weshalb die aktuelle Zeit eine sehr spannende für Versicherungen ist.
Vor der Digitalisierung waren Berater:innen häufig die einzige Möglichkeit, um in Kontakt mit einer Versicherung zu treten. Daher auch die hohe Bedeutsamkeit der Beziehung. Man kann sagen sie waren das einzige Interface im Kundenkontakt, um einen Vergleich zu einer Digitalen Lösung zu machen. Heute verwenden Kund:innen und auch Berater:innen digitale Interfaces wie z.B. Apps, um sowohl miteinander als auch mit ihrer Versicherung zu kommunizieren. Die neu geschaffenen digitalen Lösungen müssen aus der Sicht der Verwender:innen gedacht sein, da nur so eine eigenständige Verwendung möglich ist. Hier genügt es nicht, bestehende Prozesse einfach in digitale zu übersetzen, da diese häufig zu komplex und unverständlich für Kund:innen sind.
Um Kundenzentrierte Lösungen zu entwickeln, braucht es Menschen aus vielen verschiedenen Bereichen - nicht nur Entwickler:innen. Das Zusammentreffen von Menschen mit vielen verschiedenen Hintergründen kann zu Verständigungsproblemen führen. Wenn wir aus der Perspektive der Kundenanliegen sprechen, ist es viel einfacher ein gemeinsames Verständnis von dem, was erreicht werden soll zu entwickeln.
Wie schon zu Beginn gesagt, es ist wirtschaftlich notwendig kundenzentriert zu denken. Was mich aber persönlich begeistert ist, dass man den Menschen in den Mittelpunkt stellt.
Mit Kundenzentrierung kann man Frust, Angst, Ärger und Konfusion minimieren und dafür sorgen, dass Kund:innen mit uns gemeinsam besser leben.
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